Kapitel 1
Einleitung

Um Einsteins Gravitationstheorie verstehen zu können, muss man zunächst etwas über gekrümmte Räume wissen, denn die Gravitation wird in Einsteins allgemeiner Relativitätstheorie durch eine Krümmung der vierdimensionalen Raumzeit beschrieben. Auch andere physikalische Theorien wie beispielsweise Eichtheorien (siehe Quantenfeldtheorie und Eichfelder) oder Stringtheorien basieren auf der Mathematik gekrümmter Räume. Ich will daher in diesem Kapitel versuchen, die wesentlichen Ideen und Begriffe möglichst anschaulich und klar darzustellen, wobei sowohl die typischen hemdsärmligen Physiker-Formulierungen als auch die abstrakten mathematischen Formulierungen zu ihrem Recht kommen sollen. Vielleicht gelingt es ja, eine Brücke zwischen den beiden Welten zu schlagen, die beide ihre Berechtigung besitzen.

Es geht also um gekrümmte Räume. Was wollen wir unter diesem Begriff verstehen?

Gekrümmte Räume und ihre geometrischen Eigenschaften wurden besonders von dem berühmten Mathematiker Bernhard Riemann in der Mitte des neunzehnten Jahrhunderts im Detail untersucht.

Bernhard Riemann
Bernhard Riemann (1826 - 1866) im Jahr 1863
Quelle: Wikimedia Commons File:Georg Friedrich Bernhard Riemann.jpeg

Riemann beschränkte sich dabei nicht auf zweidimensionale gekrümmte Flächen, eingebettet im dreidimensionalen euklidischen Raum. Bei diesen Flächen haben Begriffe wie Krümmung eine unmittelbare anschauliche Bedeutung. Diese Anschauung diente Riemann als Leitfaden zur Entwicklung mathematisch präziser Definitionen dieser Begriffe. Dabei stellte sich heraus, dass sich viele dieser Begriffe definieren lassen, ohne dass man auf die Einbettung (d.h. die genaue Lage) im dreidimensionalen Raum zurückgreifen muss. Die Geometrie der gekrümmter Räume lässt sich durch innere Eigenschaften beschreiben. Das hat den Vorteil, dass man von gekrümmten Räumen sprechen kann, ohne dass man sie als Teilraum eines höherdimensionalen Raumes definieren muss. In diesem Sinn hat auch die Krümmung der vierdimensionalen Raumzeit in der allgemeinen Relativitätstheorie eine präzise mathematische Bedeutung, ohne dass wir dafür auf einen größeren (nicht beobachtbaren) fünf- (oder mehr) -dimensionalen Raum zurückgreifen müssten.

Die geometrischen Begriffe Riemanns sind nicht auf zweidimensionale Flächen beschränkt, sondern gelten ganz allgemein auch in mehrdimensionalen Räumen – die gerade erwähnte gekrümmte vierdimensionale Raumzeit hat es ja bereits angedeutet. Man kann also in der Mathematik auch mit gekrümmten drei-, vier- oder allgemein n-dimensionalen Räumen operieren, für die unsere Anschauung versagt. Die geometrischen Begriffe Riemanns haben ihren Ursprung zwar oft in der Anschauung zweidimensionaler Flächen, ihre Anwendbarkeit reicht jedoch weit über die Möglichkeiten unserer Anschauung hinaus.

Die folgenden Kapitel erfordern ein gewisses mathematisches Know-How. Wer sich eher anschaulich ohne viel mathematischen Ballast über das Wesen gekrümmter Räume informieren möchte, den lade ich herzlich ein, dies am Beispiel der 3-Sphäre und der Poincare'schen Vermutung in Die Grenzen der Berechenbarkeit, Kapitel 5.3: Die 3-Sphäre und die Poincaré-Vermutung zu tun.



Literatur:



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© Jörg Resag, www.joerg-resag.de
last modified on 09 September 2023